Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

versammelt zu Ehren der seligen Irmengard. — Eine große Zahl von Ihnen ist heute sicher nicht zum ersten Mal, sondern vielleicht bereits zum wiederholten oder zum x-ten Mal zum Fest der seligen Irmengard gekommen. – Warum? Was fasziniert Menschen des 21. Jahrhunderts an einer Frau, die vor mehr als 1200 Jahren hier auf dieser, damals ganz sicher einsamen Insel in einem Kloster gelebt hat? — Ein langes, ereignisreiches Leben kann es, wie wir wissen, ja nicht gewesen sein!

Was hat diese Klosterfrau in ihrem kurzen Leben getan, geleistet, dass so viele Mädchen, zumindest hier im Chiemgau, auf ihren Namen getauft worden sind, dass sie als deren Patronin gewählt worden ist?

Warum pilgern noch heute zahlreiche Menschen, ich meine nicht die eisleckenden Ausflügler in Badelatschen, hierher, zum Grab, in die Kapelle der Seligen, vertrauen sich mit ihren Anliegen, Sorgen und Problemen dieser Klosterfrau aus längst vergangenen Zeiten an und erhoffen, wie dem Anliegen-Buch, das nahe bei der Irmengard-Kapelle ausliegt, zu entnehmen ist, auch heute noch ihre Hilfe und ihre Fürsprache?

Es muss mit ihrer Verbindung zu Jesus Christus Zusammenhängen. Er ist nämlich die urbildliche Wirklichkeit, von der alles Geschaffene ein Gleichnis ist.

Wir haben gerade im Evangelium die Rede Jesu vom Weinstock und den Rebzweigen gehört. Dabei betont er, dass der Rebzweig nichts ist ohne die lebendige Einheit mit dem Weinstock. Nur wer in dieser Einheit lebt, hat das Leben. Und die Mahnung Jesu: „Bleibt in mir!“ wird ergänzt und verdeutlicht durch das Wort „Bleibt in meiner Liebe!“.

Die Menschen des Chiemgaus haben schon damals gespürt, erkannt und erlebt, dass diese junge Äbtissin Irmengard mit Jesus in Verbindung stand wie die Rebzweige mit dem Weinstock und aus seiner Liebe gelebt hat. Und das spüren und erfahren die Menschen wohl auch heute noch und suchen darum nach wie vor ihre heilvolle und segensreiche Nähe auf. Die Votivtafeln hinter dem Hochaltar sprechen für sich!

Für die Verkündigung heute und für unser aller Christsein in unserer vielgestaltigen Gesellschaft ist diese Selige, wenn wir nicht Hornhaut auf der Seele haben, von großer, beispielhafter Bedeutung; denn sie entspricht eindrucksvoll einem Wort aus dem ersten Petrusbrief, wo es heißt: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt!“ (3,15).

Im flotten Spruch eines unbekannten Zeitgenossen klingt der gleiche Inhalt so: „Rede über Christus nur dann, wenn du gefragt wirst. Aber lebe so, dass man dich nach Christus fragt!“ — Ich möchte mit Ihnen über diese beiden Worte etwas nachdenken.

Es gibt zweifellos auch heute noch jene frommen Typen, die meinetwegen für jedes angebrannte Essen oder eine schlaflose Nacht einen Bibelspruch parat haben. Was jedoch noch schlimmer ist: diese frommen Seelen meinen, den anderen Menschen Gott mit ihren frommen Sprüchen aufschwatzen zu müssen.

Seit geraumer Zeit zeigt sich allerdings eine Entwicklung, die in die gegenteilige Richtung weist: In der Öffentlichkeit spricht „man“ immer weniger von der eigenen Glaubensüberzeugung. Religion ist Privatsache geworden. Die geht niemanden etwas an. Selbst in der eigenen Familie spricht man darüber kaum mehr, ebenso wenig wie etwa über das eigene Wahlverhalten in der Politik, über Medien oder auch über Sexualität.

 

Wovon „man“ aber nicht mehr öffentlich spricht, das verliert auch an öffentlicher Bedeutung. Und das ist bedenklich. — Jesus sagt uns nämlich im Mt-Evangelium ganz unmissverständlich: „Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellichten Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern!“ (10,27). – Die Gottes-Rede ist demnach für die Öffentlichkeit der Markt- und Stadtplätze gemacht und nicht für Geheimarchive. Sonst wäre das Evangelium nie bei allen Völkern bekannt geworden.

Sowohl das Wort aus dem ersten Petrus-Brief wie auch der Spruch eines Christen unserer Tage möchten auf das gleiche aufmerksam machen: Wir sollen bereit und fähig sein, über unseren Glauben zu reden und darüber Rechenschaft abzulegen.

Solches Reden soll jedoch als Antwort erfolgen: als Antwort auf die staunende Frage von anderen: „Was ist der Grund deines/eures Glaubens? Aus welcher Hoffnung lebst du/lebt ihr? Was gibt deinem/eurem Leben Sinn und Ziel?“

Neben unserem Reden müssten wir Christen allerdings auch durch unser Leben andere zum Fragen bringen, zum staunenden Aufhorchen und zum Aufmerksamwerden, als etwas, das zum Fragen bringt und eine Antwort herausfordert.

Der leider vielfach in Vergessenheit geratene Papst Paul VI. war es, der 1975 von Stufen der Evangelisierung gesprochen und geschrieben hat (vgl. Evangelii nuntiandi 1975). Er betonte, dass die Verkündigung vor allem durch ein lebendiges Zeugnis des Lebens erfolgen muss.

Wörtlich schreibt er, und da muss ich an Sie, liebe Mutter Johanna, und Ihre Schwestern als die natürlichen Nachfolgerinnen der sei. Irmengard hier auf der Insel, denken: „Das (lebendige Zeugnis) geschieht z.B. wenn ein einzelner Christ oder eine Gruppe von Christen inmitten der menschlichen Gemeinschaft, in der sie leben, ihre Verständnis- und Annahmebereitschaft, ihre Lebens- und Schicksalsgemeinschaft mit anderen, ihre Solidarität, zum Ausdruck bringen.

Durch dieses Zeugnis ohne Worte wecken diese Christen in den Herzen derer, die ihr Leben sehen, unwiderstehliche Fragen: Warum sind jene so? Warum leben sie auf diese Weise? Was oder wer ist es, das sie beseelt? Ein solches Zeugnis ist bereits stille, aber sehr kraftvolle und wirksame Verkündigung der Frohbotschaft. Es ist eine Anfangsstufe der Evangelisierung“ (Nr.21).

Dieses Wort des Papstes ist eine Bestätigung und Ermutigung für alle, die ihr Christsein Tag für Tag bewusst und entschieden, aber ohne großes Aufsehen und ohne viele Worte leben. Denn sie sind, wie die selige Irmengard, für andere ein lebendiges Zeugnis, das sie zum Nachdenken, zum Überlegen und vielleicht auch zum Fragen bringt. Mehr noch: sie sind ein lebendiges Zeugnis, das ihnen zur Einladung werden kann, sich selbst auf diesen Glauben und das Christsein einzulassen. Denn nur Überzeugte überzeugen und nur Ergriffene ergreifen!

Als zweiten Schritt der Evangelisierung betont der Papst die ausdrückliche Verkündigung; er sagt: „ Auch das schönste Zeugnis erweist sich auf die Dauer als unwirksam, wenn es nicht erklärt, begründet und durch eine klare und eindeutige Verkündigung des Herrn Jesus Christus entfaltet wird. Es gibt keine wirkliche Evangelisierung, wenn nicht der Name, die Lehre, das Leben, die Verheißungen, das Geheimnis von Jesus von Nazaret, des Sohnes Gottes, verkündet werden„.

Allerdings muss auch diese Verkündigung des Evangeliums mit Worten aufrufen auf dem im Alltag gelebten Evangelium. —

 

Die bekannten Worte, die Friedrich Nietzsche an uns Priester gerichtet hat, haben mich in diesem Zusammenhang schon oft recht nachdenklich gemacht: „Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne; erlöster müssten seine Jünger aussehen!

Nur auf der Basis von geglaubtem Wort und von gelebtem Glauben kann die Verkündigung von Jesus Christus auch die Zustimmung des Herzens bewirken, den Eintritt in die Gemeinschaft der Gläubigen, und schließlich auch die Bereitschaft auslösen, selbst Zeuge für Christus zu sein. Das sind die weiteren Stufen der Evangelisierung.

Jemand hat gesagt: Die Christen heute müssen ein fünftes Evangelium sein. Denn die vier Evangelien nach Mt, Mk, Lk und Joh werden zu wenig von den Menschen gelesen. Mag sein!

Auf jeden Fall gehört beides zusammen: Gelesenes oder gehörtes und gelebtes Evangelium. Beide Weisen der Frohen Botschaft zusammen wirken ansteckend, wirken herausfordernd zur Nachfolge Jesu.

Beide zusammen geben zugleich das Zeugnis des Petrus wieder: „Herr, zu wem sollen wir denn gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes!“ (Joh 6,69).

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben, damit sind wir wieder bei der seligen Irmengard und ihr segensreiches Wirken aus ihrer Verbindung mit Jesus Christus. —

Bringen wir, wie die selige Irmengard, die Welt, unsere vielleicht recht kleine, überschaubare Welt, zum Fragen; zum Fragen, warum wir z.B. immer noch in der viel gescholtenen Kirche bleiben und warum wir auch weiterhin in ihr mitmachen; bringen wir unsere Welt zum Fragen nach dem Grund unseres Glaubens und bringen wir sie zu Fragen nach Jesus Christus, indem wir, wenigstens immer wieder ernsthaft versuchen, so zu leben, dass man uns nach ihm fragt!

© Freundeskreis Frauenwörth

X