„Einfach unglaublich“ – mit diesem Satz reagierte Äbtissin Johanna Mayer vom Benediktinerinnen-Kloster Frauenwörth im Chiemsee auf die Informationen, die Dr. phil. Bernd Steidl von der Archäologischen Staatssammlung München bei seinem Vortrag in der klostereigenen Aula hielt. Der Experte für Archäologie referierte bei der Mitgliederversammlung vom Freundeskreis für das Kloster zum Thema: „Tassilo III. und das Kloster Frauenchiemsee. Eine Spurensuche mit überraschenden Ergebnissen zum Gründungsanlass und den Bauten der Gründungsphase“.
Zu den Überraschungen nach jahrzehntelangen Forschungen gehörte besonders ein Stein mit reicher Geschichte und mit der nunmehrigen Annahme, dass es sich dabei um die Grabplatte der Seligen Irmengard von Frauenchiemsee handelt. Die Selige Irmengard ist die erste namentlich bekannte Äbtissin des von Tassilo III. 782 gegründeten Klosters, sie war eine Tochter von König Ludwig dem Deutschen und eine Urenkelin von Kaiser Karl dem Großen und verstarb im Jahr 866.
„Archäologie kann ein Krimi sein“ – mit diesen Worten begann Dr. Steidl seine Ausführungen und er erinnerte an die bereits vielfach von Dr. Hermann Dannheimer erforschte Geschichte der Chiemsee-Klöster auf Herren- und Frauenchiemsee. In den besonderen Blickpunkt von Dr. Steidl rückte in den letzten Jahren ein Stein mit römischer Inschrift, der 1812 entdeckt wurde. Der Fundort der Marmorplatte war der Kreuzgang im Kloster von Frauenchiemsee, dem heutigen Äbtissinnen-Gang. 1845 kam der Stein in das Antiquarium der königlichen Residenz in München. Der weitere Aufbewahrungsweg führte 1934 in die Prähistorische Staatssammlung nach München und 1974 in deren Neubau, die heutige Archäologische Staatssammlung. „Bislang wurde nur die Vorderseite und die römische Inschrift auf der 84 cm breiten und jetzt nur noch gut einen Meter hohen Steinplatte beachtet, nunmehr unternahm ich auch einen Blick auf die Rückseite, um die mehrfache Wiederverwendung des Steins seit der Römerzeit zu untersuchen“, so Dr. Steidl. Akribisch rekonstruierte er die ursprüngliche Herkunft des Marmorblockes aus Seebruck, die Umarbeitung zu einem Sarkophag und später zur Grabplatte der Seligen Irmengard. Im Zentrum der Ausführungen stand schließlich die Frage, für wen der Sarkophag bestimmt war. Die Spur führte zu Tassilo III., dem letzten bairischen Herzog aus dem Geschlecht der Agilofinger und Gründer des Klosters Frauenchiemsee. Wie Dr. Steidl ermittelte, erfolgte die Gründung des Klosters durch Herzog Tassilo III. mit dem Ziel, eine Grablege für sich und seine Frau, die langobardische Königstochter Liutberga zu schaffen. „Der heutige Kirchenbau reicht, von Zutaten des 11. und 15. Jahrhunderts abgesehen, im Grundsatz bis zum Dach auf Tassilo III. zurück“. Die schon zur Gründungszeit große, dreischiffige Kirche, die Qualität der Bauausführung auch der damaligen Konventsgebäude und die kostbare Ausstattung der Torhalle kennzeichnen diese besondere herzogliche Stiftung. Aufgrund der Auseinandersetzungen Tassilos mit Karl dem Großen, die mit seiner Entmachtung 788 und Einweisung in ein nordfranzösisches Kloster endete, blieb der Marmorsarkophag auf Frauenchiemsee ungenutzt. Er wurde schließlich zur Abdeckplatte auf dem Grab der Seligen Irmengard umgearbeitet. Und ganz zum Schluss seines Vortrags gab Dr. Steidl den zahlreichen und interessierten Zuhörern noch eine zweite Überraschung mit auf den Weg als er den berühmten Tassilokelch zeigte, ein einzigartiges Werk frühmittelalterlicher Goldschmiedearbeiten, das sich heute im Kloster Kremsmünster befindet. Dabei stellte er die provokante Frage in den Raum, ob nach allem, was jetzt über Frauenchiemsee gesagt werden kann, der Kelch nicht einstmals für diesen herausragenden Ort, der geplanten Ruhestätte des Herzogspaares, geschaffen worden ist. Für den Vortrag mit den überraschenden Erkenntnissen für Frauenwörth bedankte sich die Fördervereinsvorsitzende Annemarie Biechl mit dem seit 111 Jahren hergestellten Chiemseer Klosterlikör und mit klösterlichem Marzipan.
Fotos/Repros: Hötzelsperger – Eindrücke vom Vortrag von Dr. Steidl auf Frauenchiemsee sowie Bilder vom Stein/Grabplatte und von der Ausgrabung 1961
Weitere Informationen: www.frauenwoerth.de